Liebe Leser*innen,
auf Instagram habe ich neulich gefragt, ob ihr die Raunächte feiert oder das eher als Stress empfindet. Ausschlaggebend dafür war ein interessanter Austausch, den Eva und ich mit den Teilnehmer*innen unseres Jahreskreises zwei Tage zuvor hatten.
Und siehe da: Über 1/3 der Menschen votierte für “Nein, das ist mir alles viel zu viel.” 91% hatten dann aber doch noch Lust, mehr über die Raunächte zu erfahren, darum habe ich meine Gedanken dazu aufgeschrieben. Dafür ist dieser Raum hier bei Substack besser geeignet als Instagram, denn - wie ihr vielleicht schon wisst - Vereinfachungen interessieren mich nicht.
Verzeiht also, wenn ich etwas aushole.
Die Entstehung der Raunächte aus dem Geist des Animismus
Die Raunächte (seit der Rechtschreibreform ohne h) sind die Zeit zwischen dem 21. (oder 24. - hier streiten sich die Geister) Dezember und dem 6. Januar, die so genannte Zeit zwischen den Jahren. Sie sind entstanden, weil Lunar- und Solarkalender, also Mond- und Sonnenkalender am Ende des Jahres divergieren, das Mondjahr ist 12 Tage kürzer als das Sonnenjahr. Das ist auch schon unseren Vorfahr*innen in der Jungsteinzeit aufgefallen.
Sie haben diese Lücke überbrückt, indem sie einfach 12 Tage an das Mondjahr angehängt haben. So entstand die “Zeit zwischen den Jahren”, wie die Raunächte noch heute genannt werden. In dieser “Zeit außerhalb der Zeit” hieß es, die Grenzen zwischen den Welten seien aufgehoben und “Die wilde Jagd” ziehe umher auf der Suche nach Seelen, die sie mitnehmen könne.
Um dieser Gefahr zu entgehen, entwickelten sich allerlei Ge- und Verbote für diese Tage und Nächte. Die Wohnräume und Ställe wurden geräuchert, Frauen und Kinder sollten nach Einbruch der Dunkelheit zuhause bleiben, Haus und Hof mussten aufgeräumt sein, denn Unordnung wurde von den Dämonen bestraft. Außerdem durfte keine Wäsche draußen aufgehängt sein, damit sich die Geister nicht darin verfangen konnten.
All das mag für uns befremdlich klingen, in den Augen unserer Vorfahr*innen war es richtig und lebensdienlich. Um das zu verstehen, muss man sich vor Augen führen, das unsere Ahn*innen ein anderes Weltbild hatten, als wir heute. Unser heutiges Weltbild ist hauptsächlich in der Aufklärung entstanden, also vor allem 18. Jahrhundert. Der Aufklärung liegt die Überzeugung zugrunde, dass die Vernunft die universelle Urteilsinstanz ist und die Welt durch rationales Denken eine bessere wird. Magie oder unerklärliche Phänomen existieren in diesem Weltbild genauso wenig wie eine beseelte Natur.
Das steht in komplettem Gegensatz zum Weltbild unserer frühzeitlichen Ahn*innen. Dieses war animistisch geprägt, d.h. für sie hatten alle Lebe-und Naturwesen eine Seele, waren die Grenzen zwischen den Welten dünn. Für sie war die “wilde Jagd” real, deswegen war die genaue Befolgung der Regeln wichtig. Darum gab es auch die Perchtenläufe, bei denen die Dämonen mit unheimlichen Masken verjagt werden sollten.
Und auch wenn es die Perchtenläufe heute noch als Brauchtum gibt: Zu diesem Animismus können wir nicht einfach so zurückkehren, das Rad der Zeit und unseres Bewusstseins lässt sich nicht rückwärts drehen.
Die Raunächte heute
Was bleibt also von den Raunächten, wenn wir all das abziehen? Macht es Sinn, sie heute noch zu begehen? Und wie? Die alten Gebote befolgen, die doch für uns Menschen heute eigentlich viel weniger keinen Sinn ergeben als früher?
Was bleibt, ist der Rhythmus der Jahreszeiten: Die Natur macht gerade Pause, die Dunkelheit regiert die Tage. Denn auch, wenn zur Wintersonnenwende das Licht zurückkehrt, so dauert es doch bis Mitte Januar, bis die Tage merklich länger werden.
Das ist es, woran ich mich orientiere. Darum ist für mich in diesen Tagen der Raum fürs Innehalten, fürs Träumen und Orakeln. Dafür, Rückschau zu halten und mich zu fragen, was kommt.
Das ist mir wichtig. Manchmal fällt es mir gar nicht leicht, dafür Platz zu finden zwischen Weihnachtstrubel und Silvester, Verwandtenbesuchen und Kinderbetreuung, Keksen und Kaffee.
Und ich weiß, dass es hilfreich für mich ist, wenn ich das tue. Dann bin ich nämlich im Einklang mit dem Zyklus der Natur, und damit auch im Einklang mit mir selbst - denn wir Menschen sind Natur, sind Teil des großen Kreislaufs des Lebens.
Darum versuche ich in den Raunächten, so viel Zeit wie möglich in der Natur zu verbringen und in Verbindung zu gehen mit den Natur- und Lebewesen um mich herum, zu lauschen, was sie mir erzählen.
Nach der Aufklärung - ein neues Weltbild
Besonders letzteres ist mir wichtig, denn es geht auch darum, einen Ausgang zu finden aus der Zentrierung auf den Menschen, die durch die Aufklärung entstanden ist. Diese ist nämlich - sehr verkürzt gesagt - für die Ausbeutung der Erde verantwortlich. Und um dieser ein Ende zu setzen, müssen wir unsere Denkweise ändern.
Um es mit Albert Einstein zu sagen:
"Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“
Eine neue Denkweise, das muss für mich eine sein, die die Natur wieder mit einbezieht, die den Menschen daran erinnert, dass er dazu gehört, Teil ist der großen Familie der Natur- und Lebewesen.*
Darum lade ich dich ein, hinauszugehen und dich mit der Natur um dich herum zu verbinden. Einzutauchen in die Dunkelheit und die Stille.
Wenn du das machst, kannst du erfahren, wie sich deine Lebensgeschichte mit der der Lebewesen um dich herum verflicht. Das kann eine intensive Erfahrung mit einem Baum sein, an dem du lange verweilst, Freude, weil das Licht auf einen Regentropen fällt, Traurigkeit, die eine Narbe im Waldboden in dir hervorruft.
All das erzählt uns eine Geschichte und wenn wir achtsam sind, hören wir sie.
Mein Ritual zu den Raunächten
Vielleicht magst du mit dem folgenden Impuls zu gehen:
Geh’ über die Schwelle und verbinde dich mit einem Naturwesen. Erzähl ihm deine Geschichte des letzten Jahres. Dann schlendere weiter bis du das Tor zum Neuen findest. Schreite hindurch. Was ist hinter dem Tor?
Mehr zum Naturgang und zur Gangart dabei, erfährst du hier.
Das ist mein Ritual zu Neujahr (über den Unterschied zwischen Ritual und Zeremonie schreibe ich demnächst mal, das sprengt jetzt den Rahmen).
Seit einigen Jahren erzähle ich meine Geschichte im Anschluss Eva Klinke, mit der ich gemeinsam den Jahreskreis “Dein Weg nach Hause” leite, bekomme einen Spiegel dazu von Eva geschenkt und finde dadurch den Satz, der die Essenz dieser Erfahrung zusammenfasst. Dieses Ritual begleitet mich seit einigen Jahren, ursprünglich kennen gelernt habe ich es bei Jana Muchalski. Dieses Jahr werde ich erstmal öffentlich dazu einen Spiegelkreis anbieten - und zwar nach den Raunächten, für alle diejenigen, für die die Zeit zwischen den Jahren sowieso schon voll und anstrengend ist.
Es wird ein Raum für dich sein, den du dir schenkst. Wo du nichts tun musst, außer Zeit zu haben und hinauszugehen in die Natur. Denn sie ist immer da und wir sind ein Teil von ihr.
Das ist meine Antwort darauf, wie ich die Raunächte begehe.
Und du? Was ist dir wichtig?
Ich freue mich von dir zu hören.
Eine gute stade Zeit.
Herzlich,
Kathrin
*Das habe ich mir natürlich nicht alles selbst ausgedacht: Wer tiefer in das Thema einsteigen mag, dem empfehle ich die Bücher “Im Bann der sinnlichen Natur” von David Abrams, in dem er sich mit der Philosophie von Maurice Merleau Ponty auseinandersetzt, sowie “Naturmystik” von Ursula und David Seghezzi, das neben Hintergründen auch viel Praxis bietet. Und “Geflochtenes Süßgras” von Robin Wall Kimmerer, ein Buch wie Medizin für unsere Zeit, das ich nie genug empfehlen kann.